Das Triplett der Opazität

Dieser Artikel ist konzeptionell größtenteils geklaut - oder besser gesagt inspiriert. Ich habe mich vor einiger Zeit aus hier nicht relevanten und auch nicht interessanten Gründen mit fraktaler Geometrie auseinandergesetzt und bin über Benoit Mandelbrot, den man als Begründer dieser mathematischen Theorie nennen kann auf Nassim Nicholas Taleb gestoßen. In seinem Bestseller „Der schwarze Schwan“ behandelt er an einer frühen Stelle im Buch (erstes oder zweites Kapitel) das „Triplett der Opazität“.

Taleb nutzt dieses theoretische Konstrukt um seine Skepsis bezüglich der Eindeutigkeit der Entstehung von geschichtlichen Ereignissen zum Ausdruck zu bringen. Er sagt, dass die Geschichte „opak“ für den menschlichen Geist ist, da wir nur die Ereignisse und Ergebnisse sehen und nicht die Entstehung oder den Mechanismius dahinter. Er beschreibt ein Triplett, weil er diese von ihm genannte Opazität an drei Faktoren festmacht, die auf dem menschlichen Geist und seinen Eigenschaften basieren:

  1. Die Illusion ein geschichtliches Ereignis zu verstehen, obwohl alles vielleicht viel komplizierter und zufälliger ist als es rückblickend erscheint.
  2. Die Verzerrung der Ereignisse in der Retrospektive, was bedeutet, dass man Ereignisse am Ende anders beurteilt als während der Entstehung.
  3. Die Illusion, dass auf Basis angeblich faktischer Informationen autoritäre oder gelehrte Menschen zukünftige Ereignisse einschätzen können.

Ich versuche nun meine Interpretation von Talebs Konzept auf den unternehmerischen Alltag anzuwenden und hoffe, dass es zu Erkenntnis führt (zumindest bei mir). Was ich insbesondere nicht versuche ist eine theoretische Rekonstruktion der Überlegungen. Vielleicht kann man es so ausdrücken, dass ich etwas gelesen und es interpretiert habe, wobei mich die Interpretation wiederum inspiriert hat. Das fühlt sich nach Erkenntnis an und damit ziemlich gut. Zumindest ist es Teil eines Diskurses. Auf jeden Fall ist das Buch eine klare Kaufempfehlung. 

Der Zufall als entscheidende Größe

Zur ersten Annahme fällt mir eine Geschichte ein. Im Rahmen meiner Diplomarbeit durfte ich eine Reihe von Interviews führen. Es ging thematisch um die räumliche Konzentration der Windenergiebranche in Deutschland und ich unternahm unter anderem den Versuch herauszufinden, welche Faktoren zur Ansiedlung relevanter Unternehmen der Branche an bestimmten Orten geführt hat. Die Geschichte ist in etwa wie folgt: 

In den 1980er Jahren erfuhr ein norddeutscher Landwirt vom Tode seiner in der Schweiz lebenden Erbtante. Diese hatte ihm einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens vermacht. Er konnte sein Erbe allerdings nur antreten, falls er die Hälfte des Erbes in die regenerative Erzeugung von Energie investierte. Nun wusste der Landwirt, dass es in Husum einen Vertreter einer dänischen Firma gab, die Landmaschinen verkaufte und außerdem Windenergieanlagen. Also fuhr er mit seinem Traktor nach Husum und kaufte eine Windenergieanlage. Was er dann bemerkte registrierten auch andere Landwirte, dass nämlich der Betrieb einer solchen Anlage auch finanziell durchaus lohnenswert war. So stieg die Nachfrage an Windenergieanlagen rund um Husum und der Standort wurde zu einem bedeutenden Zentrum für die Windenergiebranche in Deutschland. Der Zufall (die Bedingungen des Erbes) war hier also ein entscheidender Erfolgsfaktor. 

 Kaum jemand hätte diese Entwicklung so vorhergesagt. Und deshalb ist es ein gutes Beispiel für Talebs ersten Faktor, dass häufig Annahmen existieren, die bestimmte Ereignisse verständlicher, erklärbarer und vorhersagbarer erscheinen lassen, als es wirklich der Fall ist. Insbesondere globalpolitisch hat man in den vergangenen Jahren einige große Entwicklungen gesehen, die wohl kein Experte vorausgesehen hätte. Prominenten Beispiele, die mir gerade spontan einfallen sind sicherlich der Brexit und die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA.

Nimmt man diese Annahme nun mit in den unternehmerischen Alltag und geht man gleichzeitig davon aus, dass Sie richtig ist, dann verschwendet die Mehrheit der Unternehmen riesige, vor allem personelle, Ressourcen darauf, die zukünftige Entwicklung von Märkten abzuschätzen, Strategien zu entwickeln und Pläne zu machen. Das Ergebnis ist, dass man sich in Scheinsicherheiten bewegt, die keinen höheren relevanten Mehrwert für den Erfolg von Unternehmen haben. Das Liquiditätsplanung und Unternehmensstrategien sinnvolle Instrumente sind, will ich nicht bestreiten, aber in Anlehnung an Taleb möchte ich behaupten, dass wir wir wohl oft so tun, als ob wir zukünftige Ereignisse - auf Basis angeblicher Erklärungsmuster für vergangene Ereignisse - gut einschätzen können, obwohl es nicht so ist.  

Ich finde das vor allem aus psychologischen Gesichtspunkten spannend. Warum fühlen sich so viele professionelle Experten in der Wirtschaft von Strategien und Planungen angezogen und nutzen diese oft als wichtigste Entscheidungsbasis für weitreichende unternehmerische Ausrichtungen? Ich frage mich ob Unternehmen mit einer flexibleren Haltung - insbesondere im Top-Management - umsetzungsstärker und erfolgreicher sind.

Nebel auf beiden Seiten

Talebs zweite Annahme geht davon aus, dass einem das Gehirn rückblickend gerne einen Streich spielt, wenn es darum geht vergangene Ereignisse zu interpretieren. Man sucht sich sozusagen im Nachhinein die Fakten aus, die vermeintlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem entsprechenden Ereignis geführt haben. Wir meinen so die Welt erklärbar zu machen. Die Zweischneidigkeit ist offensichtlich, da man sich einerseits der Illusion hingibt die Vergangenheit erklären zu können, und dass man glaubt die Zukunft auf dieser Annahme besser einschätzen zu vermögen.

Unternehmerisch ausgedrückt neigt unser Gehirn also dazu, bestimmte wirtschaftliche und strategische Ereignisse, die auf die Performance oder die Rahmenbedingungen des jeweiligen Unternehmens Auswirkungen hatten, zu erklären. Wobei es sich die passenden politischen Entwicklungen, Marktveränderungen, handelnden Personen und getroffenen Entscheidungen zu einem retrospektiven Ursachenmix zusammenreimt. Wenn man Talebs Theorie glauben schenkt ist man so auf dem Holzweg, denn die wirkliche Komplexität und vor allem die Unvorhersehbarkeit bestimmter Ereignisse wird nicht betrachtet. 

Gelassenheit und Anpassungsfähigkeit sind wichtiger als gedacht

Das führt direkt zur dritten Annahme, die besagt, dass es noch schlimmer wird, wenn man auf Basis dieser wenig validen Erklärungsmuster die Zukunft plant und wesentliche unternehmerische Entscheidungen darauf aufsetzt. Vertieft man diesen Gedanken auf das gesamte auf Erfahrungen gemachte Wissen befindet man sich immer im Bereich der Scheinsicherheit, wenn man zu sehr versucht die Dinge zu erklären, die Vergangenheit sind und sollte sich davor hüten Sie als Erfahrungsbasis für die Zukunft zu nutzen. Es gilt somit den feinen Bereich zu finden, der es einem ermöglicht aus der Vergangenheit zu lernen und seine Erfahrungen für die Zukunft zu nutzen, ohne sich zu sehr darauf zu verlassen, dass die Annahmen richtig sind. 

Vielleicht muss man nicht nur dem Leben an sich, sondern auch den entweder mit Autorität oder mit Expertenwissen getroffenen Interpretationen und Entscheidungen, einfach mit einer gewissen Gelassenheit begegnen. 

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